MEINE HEIMAT OBERNEULAND Von Winfried Hammelmann, Oberneulander, Redakteur und Autor HAMMEL- SPRüNGE Intervallessen Letzten Monat habe ich mich verquatscht. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass so etwas in schriftlicher Form überhaupt möglich ist. Soll- ten Sie die letzte Folge nicht gelesen haben, könnte ich Ihnen hier eine kleine Zusammen- fassung anbieten, aber das wäre für die Leserinnen und Leser, die den Text vor vier Wochen gelesen haben ein wenig langweilig. Außerdem neige ich dazu, beim Nacherzählen ergänzende Anmerkungen zu machen, was dazu führt, dass meine Zusammenfassungen deutlich länger werden, als der Ursprungs- text. Schon jetzt merrke ich, dass ich durch die vorigen – wie ich finde – sehr wichtigen Hin- weise wichtige Zeilen am Ende meines Textes quasi verliere, nur, weil ich alles haarklein er- kläre. Gerade fällt mir auch auf, dass ich das Wort ‚merke‘ weiter oben falsch geschrieben habe. Hatte ich schon erwähnt, dass ich mich schnell ablenken lasse? Wo war ich stehen geblieben? Hach, wenn Sie doch nur antworten könnten. Jetzt weiß ich es wieder: Diäten. Ich habe im Laufe meines Lebens seeeeeehr viele Diäten ausprobiert, auch die Seeeeeehr- laaaaaangsaaaaam-essssseeeennn-Diiiiääät. Unter anderem habe ich zwei Camps be- sucht. Die zweiteilige Draußen-Veranstaltung bestand aus einem kalorienbewussten Über- lebenstraining und einem schlankheitsför- dernden Übergebenstraining. Der Leiter der Veranstaltung hieß Jürgen Wägerlein, nannte sich aber Würgen Jägerlein. Das alles und drei Dutzend andere Diäten lagen lange hinter mir und ich hatte mich mit dem Gedanken abgefunden, Pfunde eher zu gewinnen, als zu verlieren. Ich habe dadurch auch eine Menge Geld gespart. Erstens konnte ich wieder normales Essen in normalen Portionen in normalen Supermärk- ten zu normalen Preisen normal kaufen. Zweitens habe ich in Diät-Zeiten – als Ersatz- befriedigung – sehr viele Dinge gekauft, die ich normalerweise gar nicht brauche. Wir haben jetzt im Wohnzimmer zwei Fernseher. Zur Eismaschine, die seit Jahren im Keller Staub ansetzt, haben sich noch zwei weitere, sehr stylisch aussehende Konkurrenzmodelle gesellt. Dann habe ich eine ansehendliche Kokosnusskunstsammlung. Ja, so etwas gibt es. Drittens habe ich die Abonnements für sieben Frauenzeitschriften gekündigt. Meine Frau wollte die nie haben. Und ich hatte die Abos ausschließlich wegen der Schlankheits- kuren abgeschlossen. Apropos abgeschlos- sen: Ich hatte mit allem abgeschlossen, was irgendwie mit Diäten zu tun hatte. Ich schreckte auch nicht mehr auf, wenn jemand auf das Thema kam. Und dann – letztes Jahr – hörte ich das erste Mal von Intervallfasten und dachte sofort an Scheibenwischer. Da gibt es ja auch die Ein- stellung Intervall. Für mich ein technisches Wunder: dunkle Kunststoff-Gummi-Dingsis, die immerhin so viel Intelligenz besitzen, zu merken, wie viel Feuchtigkeit auf die Wind- schutzscheibe tröpfelt, prasselt, schwebt oder klatscht. Aber was hat das mit Abnehmen zu tun? Scheibenwischer nahmen nicht ab, also gut, sie nahmen mir Arbeit ab. Aber sie verloren kaum Kalorien. Okay, minimal verlieren sie Partikel, durch die ständige Hin-und-her- Bewegung. Aber das hatte doch nichts mit Abnehmen zu tun. Ich beschäftigte mich mit dem Intervallfasten und kapierte: Es geht einfach nur um den Rhythmus von Essen und Nichtessen. Beides konnte ich. Nur, dass bei mir die täglichen Essenphasen verhältnismäßig lang waren, und die Nichtessenphasen ziemlich unerträglich. Aber die Idee mit ihren verschiedenen Varian- ten gefiel mir aus unerfindlichen Gründen: Zwölf Stunden essen – zwölf Stunden fasten. Es dauerte einige Zeiteinheiten (ich glaube, es waren Stunden), bis ich begriff, dass man nicht zwölf Stunden am Stück essen darf, sondern, dass man mehrere Mahlzeiten innerhalb dieses Zeitfensters einnehmen durfte. Aber: Innerhalb dieser Essenzeit darf man alles essen, was man möchte. Profiintervallfaster und Promiintervallfaster und Protzintervallfaster essen nur in einem Zeitfenster von acht Stunden und ernähren sich dann auch noch ziemlich gesund. Das kam für mich nicht in Frage, also, dass ich ein Profi, Promi oder Protzer wurde. Anders das Intervallfasten selbst. Das gefiel mir. Und ich startete mit dem Intervall zehn Stun- den Essenzeit, vierzehn Stunden fasten. Es fiel mir anfangs schwer, wohl auch, weil ich schwer bin. In der zweiten Woche verla- gerte ich die Stundenzahlen. In der dritten Woche änderte ich das Verhältnis Essenzeit- Fastenzeit noch einmal. Ich ging immer weiter. Und – ganz ehrlich, dadurch, dass ich die Intervalle von Woche zu Woche immer nur eine halbe Stunde verschoben hatte, merkte ich kaum einen Unterschied. Der Körper ge- wöhnt sich doch an einiges, vor allem wenn der Geist mitmacht. Meine Frau hatte die ganzen Wochen beobachtet, wie ich intervallfastete … oder heißt es fastenintervallte. Anfangs war Regina skeptisch, dann wurde sie besonders skeptisch, darauf folgte die Phase des Belächelns, gefolgt von der Woche der freundlichen Ermahnung. Dann endlich sagte sie freundlich: „Hör auf mit dem Blödsinn“, was mich veranlasste zu entgegnen: „Ich hör auf mit dem Blödsinn.“ Ich weiß nicht, wie lange das gut gegangen wäre, wenn wir nicht darüber gesprochen hätten. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, wo ich mittlerweile angekommen war: 22 Stunden-Essenphase, zwei Stunden Fastenphase. Ja, was haben Sie denn gedacht. Tja, der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach. Vor allem, wenn wir von Himbeergeist sprechen und von Fleischtomaten. Die nächste Ausgabe vom OBERNEULAND MAGAZIN erscheint am Freitag, 28.6.2019 – Redaktionsschluss: 3.6.2019 122 OBERNEULAND