HAMMEL- SPRüNGE DAS FEST DER EIERFREUDE Wissen Sie,ich habe ei- nen zweiten Job – als Vermarkter von Ostern. Das Ziel ist es, dieses Fest mittelfristig Weihnachten von Platz eins der bundesrepublikanischen Feierta- gecharts zu verdrängen. Ich gehöre zu einer Gruppe von Menschen, die schon lange an die- sem Projekt arbeiten. Meine Vorfahren in die- ser Sache sind die Erfinder der Bremer Oster- weise, äh, Osterwiese. Und die Vorfahren der Vorfahren haben den Hasen quasi als Maskott- chen für die Osterfeiertage etabliert. Damals gab es auch Kräfte, die sich für ein Osterstink- tier stark gemacht hatten, die konnten sich aber genauso wenig durchsetzen, wie die Be- fürworter eines Osterregenwurms. Das war im 16. Jahrhundert. Und die Vorvorvorfahren der Oster-Eierer (so nennen wir uns) haben das Hühnerei an sich salonfähig gemacht. Sie hat- ten im 15. Jahrhundert eine Geschichte ver- breitet, um das Ei populärer zu machen. Die Story: Eine Gruppe von Leuten wird gebe- ten, ein gekochtes Ei auf die Spitze zu stellen. Keinem will es gelingen, bis ein gewitzter Edel- mann ein Ei nimmt und es unsanft mit der Spitze auf den Tisch haut. Es bleibt stehen. Die anderen Leute sagen, dass sie es auf die- se Weise auch hinbekommen hätten. Darauf sagt der Edelmann: „Hätte hätte, Fahrradket- te.“ Das war insofern eine besondere Ge- schichte, weil es damals natürlich noch keine Fahrräder gab und erst recht keine Fahrradket- ten. Es gab nur das hätte. Weil meine Oster- Eierer-Vorfahren weit vor ihrer Zeit waren, ließen sie den Fahrradkettenteil weg. Nun suchten sie einen Promi, zu dem die Geschich- te passen würde. Und sie fanden ihn in Chris Kol, besser bekannt als Christoph Kolumbus. Diesem Abenteurer haben die früheren Oster- Eierer die Story verkauft. Er nahm sie dankbar an, zumal er gerade die „Neue Welt“ entdeckt hatte. Genau in diesem Zusammenhang konn- te Kolumbus noch eine Public-Relation-Aktion gebrauchen. Da passte die Eigeschichte her- vorragend. Und in die Geschichte ist sie ein- gegangen als `Das Ei des Kolumbus. Sie trug eierseits, äh, einerseits zur Popula- rität des Entdeckers bei, andererseits wurde etwas anderes noch berühmter als Kolumbus: das Hühnerei. Ei weiterer, Pardon, ein weiterer Coup ist den Eiervermarktern im 19. Jahrhundert gelungen. Da haben sie einem finnischen Goldschmied erklärt, er soll hinaus in die Welt gehen und al- len sagen, dass man Ostern mit Goldschmuck feiern sollte. Und dann traf der Mann auf P.C.F., sprich Peter Carl Fabergé. Der war künstlerisch ganz frisch im Eiergeschäft. Da war es ein Leichtes, ihn dazu zu bringen, weiter eirigen hochwertigen Schmuck herzustellen, bezie- hungsweise schmucke hochwertige Eier. Wir Ostervermarkter treten selten in Erschei- nung, aber unsere Marketingideen sind oft sehr bekannt. Mein größtes Ei-Ding gelang mir 2003. Ich kannte jemanden, der jemanden kannte, der einen anderen kannte, der ein Nachbar des berühmten Torwarts Oliver Kahn war. Über diesen Kannte-Kannte-Kahn-Weg habe ich Einfluss auf den Bayernspieler ge- nommen. Kahn wollte damals auf Biegen und Brechen einen Spruch raushauen, an den sich nicht nur die Fußballfans noch Jahrzehnte spä- ter erinnern sollten. Mir ist damals zugetragen worden, dass er in aller Öffentlichkeit so etwas sagen wollte wie „Herz, wir brauchen Herz!“ oder „Seele, wir brauchen Seele!“ oder „Lunge, wir brauchen Lunge!“ Und da ist es mir gelungen – wie genau – er- zähle ich mal, wenn wir uns persönlich kennen- lernen, Kahn zu überzeugen, dass er etwas an- Von Winfried Hammelmann, Oberneulander, Redakteur und Autor deres sagt: „Eier, wir brauchen Eier!“ Tja, das war für Olli Kahn Werbung in eigener Sache, es war aber noch viel mehr Werbung für Eier. Leider hatte der Mann sich nicht an meinen Vorschlag gehalten, den Spruch kurz vor Ostern zu bringen. Dann wäre er – im Sinne der Oster-Promotion – perfekt platziert gewe- sen. Was ihn geritten hat, es in der Vorvorweih- nachtszeit zu sagen, das war mir zunächst ein Rätsel. Dann aber begriff ich, dass er „Eier, wir brau- chen Eier!“ genau in der richtigen Zeit gesagt hat. Die Regale waren ja am ersten November bereits voller Lebkuchen, Zimtsterne und Weih- nachtsschokolade. Damit hatte er einerseits den übertriebenen Weihnachtskonsum kriti- siert und andererseits die Aufmerksamkeit aufs Osterfest gelenkt. Das war genial. Manchmal müssen wir Ostervermarkter auch Rückschläge hinnehmen. Schon in den frühen 90er Jahren hatte ein Oster-Eierer aus Ost- friesland die Idee, ein Riesenrad zu bauen, das nicht kreisrund war, sondern eierförmig rund. Er kannte viele Menschen aus der Riesenradindustrie. Es gelang ihm, Eifluss, Tschuldigung, Einfluss auf den Bau dieser traditionellen Kirmesattraktionen zu nehmen. Und so wurde ein ganz besonderes Fahrge- schäft aus der Familie der Riesenräder in einer der größten Metropolen der Welt gebaut. Im März 2000 wurde es in London eröffnet. Zu unserem Bedauern hatte es nicht die Form eines gekochten Eis, nicht einmal die Form eines Spiegeleis. Es war kreisrund, wie alle anderen Riesenräder. Und auch die Idee, es das Londoner Ei zu nennen, also London Egg, schlug fehl. Stattdessen heißt es London Eye. Na ja, in Deutschland klingt es dennoch wie London Ei. Aber immerhin: Die Gondeln sind eierförmig. Unsere große Eieraufgabe für die 20er Jahre wird es sein, in weltweit werbewirksamen Aktionen deutlich zu machen, wo eigentlich der Zusammenhang ist zwischen der Aufer- stehung des Gottessohnes und Eiern, die von einem Hasen gebracht werden. Das kriegen wir aber hin. Es braucht nur allerlei, äh, eierlei Phantasie. Die nächste Ausgabe vom OBERNEULAND MAGAZIN erscheint am Donnerstag, 30.04.2020 – Redaktionsschluss: 06.04.2020 138 OBERNEULAND